Auszüge aus der Stuttgarter Zeitung vom 18. März 1998:

Bekenntnis zu Paul Klee

Max-G.-Bailly-Retrospektive in Nürtingen


Die Stadt Nürtingen ehrt Bailly, der an der Freien Kunsthochschule, die er mitaufgebaut hat, und an der Fachhochschule für Kunsttherapie lehrt, nun in einer großen Retrospektive.

Im Obergeschoss der Kreuzkirche sind seine Werke des ersten Schaffensjahrzehnts bis etwa 1983 zu sehen. Die Anfänge sind noch geprägt von seiner architektonischen Herkunft: feingezeichnete Kulissen in streng geometrischer Formgebung. Eine Reise nach Griechenland läutet daraufhin eine neue Werkphase ein. Bailly entdeckt das Materialbild für sich. Ganze Serien weißer Insellandschaften entstehen durch Verwerfungen und Öffnungen der Leinwand, die den Horizont bilden.

Anfang der achtziger Jahre ist ein weiterer Wandel in der Reliefstruktur festzustellen, die sich immer stärker ausprägt: Karton ist der neue Werkstoff, den Bailly in Schichten übereinanderklebt, die, verwitterten Gesteinsschichten gleich, in Abblätterungen aufbrechen. Parallel dazu entdeckt Bailly auch das Feld der Plastik über sogenannte Brandobjekte. In der persönlichen Auseinandersetzung mit den Geschehnissen des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs wird das Medium Feuer zu einer wichtigen Thematik seiner Arbeiten.

Bis Anfang der neunziger Jahre wendet Bailly auch dem Materialbild große Aufmerksamkeit zu. Fundstücke wie verrostetes Bleck, Schnur, Federn oder kleine Zweige verarbeitet er zu Mustern oder Landschaften, die nicht abbilden, sondern über die Realität der Dinge hinausweisen.

Ein großformatiges Triptychon in mystisch leuchtenden Farbtönen, in dem sich Bailly ausnahmsweise als Maler präsentiert, bündelt kaleidoskopartig die wesentlichen Konstanten seines Kunstschaffens. Grundlage dieses Werks war eine Begegnung mit Felix Klee, dem Sohn Paul Klees, mit dem Bailly intensive Gespräche über dessen Vater und seine Kunstphilosophie führte, der er sich eng verbunden fühlt.

Astrid Schlupp-Melchinger